Gernot Werner Gruber

Das unendlich komplizierte Leben der Leiche Ötzi

Ötzi mag Nutella. Dimitri mag Wodka. Und der Pathologe hätte gerne seine Ruhe. Kann man Ötzi zum Leben erwecken? Man kann! Einem pensionierten Pathologen und seinem Freund Dimitri, einem russischen Molekularbiologen, gelingt das Experiment. Sie stehlen die Mumie aus dem Museum, betäuben und entführen einen Polizisten, bauen einen Berggasthof zum Labor um und machen sich an die Arbeit. Doch was dann geschieht, kann niemand vorhersehen. Ein Trip quer durch Südtirol, ein Fall für die internationalen Geheimdienste, ein Hoch auf den Nudismus.

Band 1 der Trilogie „Reanimo“
Online Preis:Euro 17,90
Ladenpreis: Euro 17,90
franz. Broschur 13,5 × 20 cm | 200 Seiten ISBN: 978-88-7283-606-4
 Auch als  Ebook logo web  erhältlich

Prolog

Es kommt vor, dass man im Schlaf sich dem Tod nahefühlt. Und mit dem Tod kannte er sich aus. Das war sein Thema, ein Leben lang. Nicht aber er selbst, sondern seine Patienten, die er Klienten nannte, hatten darin Erfahrung. Die Kollegen bezeichneten sie als UO samt Nummer. UO stand für Untersuchungsobjekt, was allerdings zu lang war für die kleinen Kärtchen am großen Zeh. Zudem brachte das Kürzel eine angenehme Distanz zu den Klienten und, was noch viel wichtiger war: zum Tod. Schließlich sind Pathologen auch nur Menschen. „Vor allem jetzt im Ruhestand“, dachte er sich, als er gerade wieder aufwachte. Kurz davor war er eingenickt über dem Versuch, seine Memoiren zu schreiben. Was sich als deutlich anstrengender herausstellte als angenommen und ihn regelmäßig zum Fluchen brachte. Bei einer Flasche Lagrein hatte er sich dazu überreden lassen. Er war zu sehr der Korrektheit verpflichtet, immer schon. Sonst wäre er wohl auch nie Chef der Pathologie in einer Provinzhauptstadt geworden. Versprochen ist versprochen.

Für große Memoiren hätte sein Leben eigentlich nicht gereicht. In der Rolle des Leichenbeschauers im öffentlichen Dienst in der Provinz wurde er zwar manches Mal zu lokal aufsehenerregenden Fällen gerufen: Unfälle, Morde oder Leichenfunde, alles jedoch global und gesamtwissenschaftlich betrachtet absoluter Kleinkram, nichts, mit dem man auf in- ternationalen Kongressen glänzen konnte. Wäre da nicht vor zweieinhalb Jahrzehnten ein Urlauberpaar auf einem Gletscher vom Weg abgekommen und hätte damit sein zukünftiges UO 1228 beim Auftauen gestört. Durch diesen Fund war der Pathologe im letzten Karrieredrittel zum Mumienexperten wider Willen geworden. Darüber konnte er immer noch nur den Kopf schütteln. Nach einigen Wochen der Auseinandersetzungen wegen der Staatsangehörigkeit einer Leiche, die aus einer Zeit stammte, in der es noch keine Staaten gab, hatten einige Meter Steine, Schnee und Eis den Lebensweg des Pathologen geändert.

Rezensionen

TIROLER GEGENWARTSLITERATUR 2047 Das unendlich komplizierte Leben der Leiche Ötzi Luftige Geschichten müssen oft mit großem Ernst vorgetragen werden, damit die Leserschaft von jeglicher Schwerkraft befreit schließlich samt der Geschichte im Firmament des Gelächters entschwinden kann. Gernot Werner Gruber lässt mit seiner Trilogie der Reanimation keinen Zweifel daran, dass es wissenschaftlich durchaus möglich sein könnte, was im Roman noch Kopfschütteln auslöst. „Das unendlich komplizierte Leben der Leiche Ötzi“ nimmt die Sehnsucht von uns allen, mit dem Ötzi in Augenhöhe in Kontakt zu treten, zum Anlass, um ihn in der Gegenwart zu erwecken. Im Sinne eines Forscherromans oder Abenteuers aus der Wissenschaft tun sich ein pensionierter Pathologe aus der Ötzi-Museumsumgebung und ein russischer Geheim-Forscher zusammen, um der Ötzi-Leiche hinter der Glaswand des Museums auf die Sprünge zu verhelfen. Die Vorgangsweise ist äußerst konsequent und logisch. Ötzi wird von seinem Double aus dem Museumskeller abgelöst und auf einen Berggasthof verfrachtet. Bei dieser Gelegenheit passiert eine kleine Panne, und der Stadtpolizist Charly Weger muss mitentführt werden. Während man nun den einen, der schon eingefroren ist, mühselig zum Leben erweckt, muss man den anderen abkühlen und scheintot halten. Nach ein paar Fehlschlägen gelingt das Projekt und Ötzi springt durch die nächstbeste Fensterscheibe, weil er das Element Glas ja noch nicht kennt. Pathologe, Geheimforscher, Stadtpolizist und Ötzi treten alsbald als das wahnsinniges Quartett auf, besuchen Talkshows und unterhalten das Internet. Wenn Ötzi spricht, fängst das Publikum automatisch zu weinen an. „Ich bin Luh An und habe lange geschlafen.“ (173) Gegen solche Ur-Emotionen ist jeder machtlos. Ob in einem SPA-Bereich als Nudist, auf wissenschaftlichen Seminaren, bei sommerlichen Tourismus-Events oder schlicht bei Grillabenteuern, Ötzi findet mit seiner unverbrauchten Art immer Anklang. Die Menschen spüren plötzlich die Gene der Urahnen in den Zellen vibrieren und haben ähnlich der Nahtod-Erfahrung eine Nah-Lebens-Erscheinung. Der erste Teil geht allerdings abrupt zu Ende, die geilen Medien jagen Ötzi mit einem Helikopter in Medienechtzeit über den Gletscher, und er muss offensichtlich wieder so elendiglich sterben wie vor fünftausend Jahren. Die Story ist natürlich bei genauerem Hinsehen ein Affentheater und riesiger Fake. Wenn man sich aber das Getue anschaut, mit dem heutzutage politische Botschaften, Geschäftsmodelle und Programme zur Verblödung der Menschheit ohne mit der Wimper zu zucken präsentiert werden, dann fühlt man sich für Stunden befreit, wenn man mit Ötzi über Jahrtausende hinweg Freundschaft schließen kann. Es entsteht so etwas wie ein versöhnlicher Schulterschluss des Humors. Helmuth Schönauer 27/07/17