Schreiben hat mit Geschichten zu tun. Vielen kleinen, die man aufschnappt, größeren, die man aufsaugt und anderen, an denen man lange zu beißen hat und die man meist noch länger verdauen muss. Irgendwann kommt dann der Punkt, wo man beginnt, sie niederzuschreiben und zu verweben, zu einer neuen großen Geschichte. Die dann, bevor man es sich versieht, ein paar hundert Seiten lang ist. So und nicht anders war das bei DAS UNENDLICH KOMPLIZIERTE LEBEN DER LEICHE ÖTZI – dem ersten Band von REANIMO der nun vorliegt. Eine Story, die – ich gebe es gerne zu – nur zum Eigenamüsement entstanden ist, als Teil eines lustvollen geistigen Reinigungsprozesses, nach einigen zu intensiven beruflichen Jahren. Die Dinge nahmen dann ganz einfach ihren Lauf, als ich Wilfried Gufler vom Verlag Edition Raetia davon erzählte und ihm eine Kostprobe zum Lesen gab.
Die wichtigsten Stationen - oder wie Charly Weger es beschreiben würde

Geboren im Kreissaal eines ehemaligen Sanatoriums für halb-, dreiviertel- und völlig demente Verwandte des österreichischen Kaisers am Rande von Meran, der zweitgrößten Stadt des eigenartigen Südtirol.
Kaum daheim im Passeiertal, war die Stube voll mit der halben Dorfbevölkerung, die sich um einen der wenigen Fernsehapparate drängte. Sie waren nicht meinetwegen gekommen, sondern wegen der Mondlandung: Postnatales Aufmerksamkeitsdefizit, sozusagen von der NASA verschuldet. Was mich nicht aufhielt zum quirligsten der Geschwister zu werden, immer mit vollem Körpereinsatz. Noch vor dem zehnten Geburtstag feierte ich meine 10 Platzwunde im Schädel-Gesicht-Bereich. Meine Verbalakrobatik war zwar für die meisten Talbewohner eine Zumutung, weil das Tal eigentlich die Welthauptstadt der Einsilbigkeit ist. Vielleicht bin ich auch deshalb auf einer Mädchenoberschule gelandet, damals die einzige Möglichkeit ein Sprachengymnasium in der Gegend zu besuchen. Nach der Matura ließ mich die Lust auf sofortige Unabhängigkeit viel zu früh solide werden. Für 18 Monate im Job eines Verkaufssachbearbeiters für so spannende technische Produkte wie Fensterbeschläge. Da sich der Blick auf das Fenster meiner Zukunft tatsächlich Tag für Tag mehr beschlug, brach ich aus ins eine völlig andere Welt: dem Holiday-Business.
Menschen dabei zu animieren tolle Ferien zu verbringen bringt vielerlei Erfahrungen mit sich. Erkenntnisse, die erst viel später sichtbar werden, und nutzbar. Jetzt reichen die begegneten Charaktere und Archetypen sicher noch für hundert Bücher.
Vorest war aber Erholung wichtiger. Die ich für fast ein Jahr auf der Baustelle meines Elternhauses genoß und mich mit der Einsilbigkeit versöhnte, weil es auch was mediatives hat den ganzen Tag stillschweigend Zementputz an Wände zu streichen, dann ohne Worte ein Bier mit dem Maurermeister zu genießen, der wortlos eine Selbstgedrehte raucht und sich mit den Worten verabschiedet: „Reden wir morgen weiter“.
Rückwirkend betrachtet, war es darauf nur logisch ein Studium der Politik in Kombination mit allen möglichen geisteswissenschaftlichen Randgebieten zu beginnen. Das Problem bei spätberufenen Studienanfängern ist der Drang nach Geschwindigkeit im Abwickeln des Studiums samt notwendigen Klausuren und Seminararbeiten. Der wird aber fast natürlich gebremst durch die Prokastination in Sachen Abschlussarbeit, die in meinem Fall sogar zu einem Unternehmen wurde. Ein Unternehmen zur Analyse von Medieninhalten. Semantische Strukturinhaltsanalyse kann Dritte auch relativ wirr im Schädel machen. Tat es auch und das war für mich der Impuls für einen Neuanfang, der in die Politikberatung mündete.
Von dort wird meist nur die sichtbare Meinungsforschung wahrgenommen, obwohl kaum jemand sie als wahr nimmt, wenn sie nicht das belegt, was der Journalist oder Politiker eh schon glaubt. Da „Friseur“ nie auf der Liste der meiner Traumberufe war, lies ich die haarige Tätigkeit der Polikberatung auch wieder hinter mir. Wer an dieser Stelle den Überblick verloren hat: es lässt sich alles zusammenfassen auf den zentralen Begriffen „Kommunikation und Marketing“. Die Kurven bis hierher waren aber auch notwendig, denn Umwege im Lebenslauf erweitern die Selbstkenntnis und die ist letztlich unerlässlich. Für alles. Vor allem fürs Schreiben.
Im Übrigen, damit sich der Kreis zum Kreissaal und Mondlandung wieder schließt: sterben werde ich planmäßig zeitlich nah an der ersten bemannten Marslandung. Hoffend, dass dieser Elon Musk nicht zusehr Gas gibt.
PS: Wer sich jetzt fragt, wer dieser Charly Weger ist, der muss das Buch lesen…